Warum ständig der Abgrund? Weil er lockt? Nein, tut er nicht. Ich schaue dorthin, wo es weh tut.

Auch mir selbst. Wenn man die Nacht im Nieselregeln vor einem Gerichtsgebäude ansteht, nur um über einen wichtigen Prozess zu berichten, dann ist das nicht schön. Aber dieser Job ist eben kein Job, sondern eine Aufgabe. Weil Gerichte besser urteilen, wenn sie wissen: Da sitzt jemand und schreibt mit. Und weil auch Politik nach besseren Lösungen sucht, wenn sie weiß: Das kommt sicher alles raus, was wir hier diskutieren. Es gibt Reporter, die schreiben Texte wie Diskokugeln, die nach allen Seiten glitzern. Aber Journalisten müssen der Wahrheit dienen und nicht dem eigenen Ruhm. Der große Karl Kraus hat von den Kehrichtsammlern der Tatsachenwelt geschrieben, also die dunklen Seiten betrachten, den Fehler finden, die Kulisse wegschieben, die andere errichten. Die Suche nach der Wahrheit eben. Großes Wort? Ja, großes Wort. Deswegen muss man mit Leidenschaft drangehen. P.S. Es schadet nicht, wenn man Menschen mag.

Curriculum Vitae

Als junge Frau wusste ich lange nicht, was ich werden will. Auf keinen Fall Zahnarztgattin, wie es die Nonnen in meiner Klosterschule gern gesehen hätten. Mich hat alles interessiert und noch viel mehr und auf nichts wollte ich verzichten – nicht, dass mir etwas Wichtiges entgeht. Diese Neugier auf die Welt, das ist mein Beruf geworden. Ein Beruf, in dem man jeden Tag das Leben neu entdecken darf. In dem man unvorhergesehen Funken schlägt im Alltag und sich tief einarbeitet in unbekannte Felder. Oder auch Abgründe. Das wurde mein Spezialgebiet.

Es ging gleich welthistorisch los / Mit 29 stand ich auf der Berliner Mauer, als Korrespondentin der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) in der DDR. Kurz davor war ich noch vor der Stasi weggerannt, hatte mich heimlich mit Dissidenten getroffen und das Leben in der DDR erkundet. Am 9. November 1989 schrieb ich den „Blitz“: DDR reißt Mauer auf. Der Satz ist verewigt, an der Gedenkstätte an der Bornholmer Brücke.

Nächste Station, 1991 / Berliner Zeitung. Wilde Wendejahre. Clash of Cultures. Aufbruchstimmung.

Dann Bayern / Der Spiegel holt mich 1993 als Korrespondentin nach München. Auch dort wird es gleich wieder turbulent. Affären, CSU-Probleme, Stoiber-Aufstieg.

1997 ruft die Süddeutsche Zeitung / Politische Reporterin, vor allem in den neuen Ländern. Es ist die Zeit der Baseballschläger-Jahre. Rechtsradikale, die Wahlsiege feiern, Neonazis, die mit Schlägen drohen und mehr. Und Politiker, die von all dem nichts mitbekommen (wollen).

2002 geht es zurück nach Berlin / Schröder-Jahre, Merkel-Jahre. Vor allem aber: Innere Sicherheit. Der islamistische Dschihad wird immer gefährlicher, auf Innenminister Schily folgt Innenminister Schäuble. BND-Skandal, Journalistenüberwachung. Ich schreibe drüber, oft exklusiv.

Dann mal wieder was Weltbewegendes, zumindest für Bayern / Die CSU verliert 2008 nach Jahrzehnten die absolute Mehrheit. Rechtzeitig dazu bin ich nach München zurückgegangen, als Ressortleiterin Bayern. Ich fühle der CSU den Puls.

Mein Mann scherzt: „Erst fällt die Mauer, wenn du nach Berlin gehst. Jetzt fällt die CSU, wenn du nach München gehst. Lass uns nach Nordkorea gehen – vielleicht tut sich da was.“ Wäre schon ein lohnendes Aufgabengebiet – aber ich bleibe in Deutschland und kümmere mich um andere Abgründe: Kriminalfälle, Gerichtsprozesse. 2011 werde ich die Gerichtsreporterin der Süddeutschen Zeitung, bin beim Verfahren gegen Anders Breivik in Oslo und beim Prozess gegen Uli Hoeneß in München.

Dann kommt der NSU-Prozess und er wird eine Art Lebensabschnittsbegleiter / Fünf Jahre lang, von 2013 bis 2018, bestimmt er mein Leben. Die Berichterstattung darüber wird mehrmals prämiert, am Ende mit dem Nannen-Preis. Für mich hat sich ein Kreis geschlossen: Meine Erfahrungen in der DDR, die wilden Wende-Jahre, das Wissen über Geheimdienste und Extremisten. Und dann dieser Prozess, der alles in sich vereinte.

Die Abgründe bleiben / Der Mord an Walter Lübcke und der Prozess danach. Der Anschlag auf die Synagoge von Halle. Prozesse gegen NSU 2.0 und einen Bundeswehroffizier, der über Umsturz fantasierte. Fehlt nur mal was Entspannendes.